Deutschland hat seit dem 24.05.1949   ein Grundgesetz. Doch hat Deutschland damit eine gültige Verfassung? Die Frage klingt unlogisch, doch es gibt den Artikel 146, der fordert, dass das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung beschließt – und das ist bislang nicht geschehen. Das nährt Gerüchte, Deutschland habe keine gültige Verfassung. Ich habe mich am 24.05.14 für MDR INFO mit dem Staatsrechtler Winfried Kluth über das Problem unterhalten.

Es ist ein Satz, an dem sich die Grundgesetz-Kritiker stören. Und zwar der Artikel 146. Darin heißt es wörtlich:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Prof. Dr. Winfried Kluth (Foto: MLU 
Halle-Wittenberg)

Deutschland hat eine gültige Verfassung

Hat Deutschland wirkliche eine Verfassung? Oder fehlt da noch etwas? Für Winfried Kluth ist es eine einfache Sache. Der Jurist ist Staatsrechtler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und außerdem Richter am Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt. Seine Antwort ist klar und deutlich.

Ja, Deutschland hat eine gültige Verfassung. Das ist einhellige Meinung der Verfassungsjuristen und auch des Verfassungsgerichtes. Allerdings – und darauf spielen Sie an – hat diese Verfassung in ihrer Gründung einen gewissen Makel, denn es hat nie das deutsche Volk direkt durch eine Volksabstimmung oder durch eine von ihm gewählte verfassungsgebende Versammlung über das Grundgesetz abgestimmt.

Doch warum ist 1949 vom sogenannten Parlamentarischen Rat nicht gleich eine Verfassung für die damals aus den Besatzungszonen der westlichen Alliierten entstandene Bundesrepublik in Kraft gesetzt worden?

Die Formulierung „Grundgesetz“ ist eine formal äquivalente Formulierung für „Verfassung“ – also „grundlegendes Gesetz“. Und man hat diese kleine sprachliche Nuance zunächst gewählt, um das vorläufige in Hinblick auf eine damals noch zeitliche nahe gewünschte Wiedervereinigung deutlich zu machen.

Warum dürfen die Deutschen nicht abstimmen?

Doch die Länder der ehemaligen DDR sind bereits 1990 der Bundesrepublik beigetreten. Damit ist es eigentlich schon längst überfällig, den Artikel 146 zu erfüllen, nämlich dass das gesamte deutsche Volk über eine Verfassung abstimmt. Für den Verfassungsrichter Winfried Kluth ist es die Vorsicht der Politiker, weshalb sie ausnutzen, dass es im Grundgesetz keine zeitliche Vorgabe für eine mögliche Volksabstimmung gibt.

Das ist ja eine Verfassung, die noch durch Prägnanz, also auch eine gewisse textliche Knappheit, juristische Schärfe gekennzeichnet ist. Man hat sich nicht zugetraut, so etwas noch einmal zu schaffen. Man muss jetzt dazu sagen: Die Verfassungen der neuen Bundesländer sind aus meiner Sicht recht gut gelungen. Also insofern war diese Skepsis vielleicht nicht berechtigt. Sie sind aber dann vielleicht auch nicht für die gesamtdeutsche politische Lage symptomatisch.

Winfried Kluth ist zufrieden mit dem Grundgesetz und betont dessen Kompromiss-Charakter: Es gäbe keine zeitliche Vorgabe, bis wann eine neue Verfassung beschlossen werden müsse. Und diese aktuelle Verfassung namens „Grundgesetz“ genieße international Anerkennung.

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